Deutschland möchte Leitanbieter und Leitmarkt der Elektromobilität werden, aber wir sind davon noch weit entfernt. Was muss geschehen, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Automobilstandorts Deutschland zu sichern?
Die wichtigste Herausforderung für den Automobilstandort Deutschland und seine Akteure lautet: Wir müssen mindestens so viel innovativer oder besser sein, wie wir teurer sind. Allerdings: Die deutsche Automobilindustrie ist bei der Innovationsstärke nicht mehr unangefochten. In wichtigen Zukunftsfeldern wie der Elektromobilität und des Software-definierten Fahrzeugs sind Wettbewerber teilweise schneller und besser. Hervorzuheben sind neben Tesla vor allem einige chinesische Hersteller, allen voran BYD. Beide Hersteller führen das globale Absatz-Ranking der Elektromobilität (BEV) mit deutlichem Abstand an und sind damit Leitanbieter. Übrigens hat China im letzten Jahr Deutschland als zweitgrößtes Auto-Exportland überholt und wird im Jahr 2023 auch Japan überholen und zur Nr. 1 aufzusteigen.
Um innovativ und erfolgreich zu sein, braucht es in zentralen Elementen der Wertschöpfungskette der Elektromobilität eine hohe vertikale Integration, d.h. eigene Kompetenzen etwa im Bereich Batterie und Ladeinfrastruktur. Hier mussten viele etablierten Unternehmen der Autoindustrie schnell dazulernen. Es zeigt sich, dass der Kompetenzvorsprung von zentralen Wettbewerbern nur schwer und nur schrittweise aufzuholen ist. Der China-Speed ist derzeit vielfach höher als das Deutschland-Tempo.
Wenn die deutschen Elektrofahrzeuge aus Kundensicht jedoch nicht besser, nicht innovativer sind, können sie auf Dauer auch nicht teurer sein. Entsprechend müssen die deutschen Akteure die Herstellkosten der Elektrofahrzeugereduzieren, um für den weiteren Markthochlauf gerüstet zu sein. Der wirkliche Sturm kommt erst noch: Neben Tesla haben einige chinesische Hersteller schon jetzt eine deutlich bessere Kostenbasis als die etablierten OEMs aus Europa und den USA. Der Automobilstandort Deutschland ist dabei in einer kritischen Sandwichposition: Auf der einen Seite winken starke Förderkulissen in den USA und auf der anderen Seite drückt China mit guten Kostenstrukturen, während Deutschland unter hohen Personal-, Energie-, Bürokratiekosten ächzt.
Die Lage ist kritisch: Um wieder schneller, innovativer und produktiver zu werden, braucht es statt Diskussionen über Vier-Tage-Wochen oder Home-Office-Regelungen ein neues Mindset: Eine Angreifer-Mentalität bei den Automobilherstellern und Zulieferunternehmen, eine Art Deutschlandpakt mit vertrauensvollen strategischen Kooperationen am Standort, einen Schulterschluss zwischen den Sozialpartnern und gezielte Flankierung der Politik etwa bei Energie- und Bürokratiekosten.
Der weitere Hochlauf der Elektromobilität in Deutschland ist in einerkritischen Übergangsphase: Statt der geplanten 15 Mio. BEV im Jahr 2030 sind unter derzeitigen Rahmenbedingungen eher 7-8 Mio. realistisch. Die tendenziell gutverdienenden, technikaffinen „Early Adopter“ sind versorgt. Jetzt müssen zunehmend die niedrigeren Marktsegmente und breiten Käuferschichten mit deutlich kleinerem Geldbeutel adressiert werden. Hinzu kommt, dass gestiegene Zinsen und abnehmende Förderungen zu höheren Leasing- und Finanzierungsraten der ohnehin teureren Elektrofahrzeuge führen und absehbar die Marktdynamik bremsen.
Was muss getan werden? Erstens braucht es für den Markthochlauf zeitnah mehr Modelle unterhalb der Mittelklasse, deren Anschaffungspreise auf Höhe der Verbrenner liegen. Das fällt vielen Automobilherstellern noch schwer, da die Herstellkosten von Elektromodellen eben nur langsam sinken. Hier wäre es hilfreich, wenn trotz Haushaltsengpässen die Kaufprämie aufrechterhalten werden könnte. Zweitens sollten Gewerbekunden stärker incentiviert werden Elektrofahrzeuge in ihre Flotten aufzunehmen, so dass auch Gebrauchtwagenkäufer früher in den Genuss der Elektromobilität kommen. Wir schlagen vor bei der Dienstwagenbesteuerung den geldwerten Vorteil von Elektromodellen von 0,25% auf 0,2% zu verbessern und parallel den geldwerten Vorteil bei Verbrennern von 1% auf 1,25% zu erhöhen. Drittens sollte auch der Preisabstand zwischen Elektroladestrom- und den Spritkosten vergrößert werden, um die Elektrofahrzeugnutzung zu attraktiveren. Wir plädieren für eine stärkere schrittweise Erhöhung der CO2-Bepreisung im Verkehr (Brennstoff-Emissions-Handels-Preis) von heute 30€/t auf mind. 50€/t in 2024 und 80€/t in 2025. Das ist auch sinnvoll im Sinne eines Frontloadings im Vorgriff auf ETS II im Jahr 2027. Viertens muss neben der Quantität vor allem die Qualität und Verlässlichkeitder öffentlichen Schnellladeinfrastruktur weiter verbessert werden. Ein reibungsloses „Ladeerlebnis“ ist ein kundenrelevanter „Hygienefaktor“ gerade bei den zu erobernden– weniger technikaffinen – Käuferschichten. Fünftens: Elektromobilität darf nicht allein nach dem Paradigma des Verbrennungsmotors gedacht werden. Das iPhone hat sich gegenüber Nokia-Handy ja auch nicht durchgesetzt, weil man damit besser telefonieren konnte, sondern weil ein völlig neuer Kundennutzen möglich wurde. Darauf muss auch bei der E-Mobilität der Fokus liegen: Neue Kundenmehrwerte und Begehrlichkeiten müssen geweckt werden: Stichworte könnten ein fahrzeugübergreifendes Ladeökosystem, bidirektionales Laden, Energie-Autarkie und als Nebeneffekt günstigere, ökologischere Mobilität sein. Ein Mindset-Wandel ist alternativlos für die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland. Also seien wir realistisch – versuchen wir das Unmögliche.
*Kurzfassung eines Impulsvortrags anlässlich des Autogipfels im Bundeskanzleramt am 27.11.2023